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IPK Leibniz-Institut/ L. Tiller
Prof. Dr. Andreas Graner, Wissenschaftlicher Direktor des IPK
„Die Schlauheit des Fuchses und die Weisheit der Eule“

Im September übergibt Andreas Graner die Leitung des IPK an Nicolaus von Wirén. Wie er im Jahr 1997 nach Gatersleben kam, was sein Erfolgsrezept bei der Führung des Instituts ist und was er seinem Nachfolger mit auf den Weg gibt, erklärt der Geschäftsführende Direktor im Interview.

Die letzte Evaluation mit Bravour gemeistert, die 80-Jahr-Feier des Institutes vor der Haustür und die Nachfolge geregelt: Sie müssen zufrieden sein kurz vor Ihrem Ausscheiden aus dem IPK, oder?

Der Erfolg des Instituts hat viele Väter und Mütter. Ich bin dankbar, dass ich im Jahr 2007 von meinem Vorgänger, Ulrich Wobus, ein hervorragend aufgestelltes Institut übernehmen durfte. Ich bin auch dankbar, dass es während meiner Amtszeit gelungen ist, die wissenschaftliche Exzellenz und die internationale Sichtbarkeit des IPK zu erhalten und neue Forschungsschwerpunkte zu etablieren. Als Wissenschaftler ist mein Blick jedoch in erster Linie in die Zukunft gewandt. Hier stehen wir vor großen Herausforderungen, für deren Bewältigung wir neue Ideen und frische Kräfte benötigen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass das Institut weiter Großes leisten kann.

Von einem bevorstehenden Ruhestand hat man bisher bei Ihnen nichts gemerkt, im Gegenteil: Sie haben in den vergangenen Monaten auch noch die Kooperation mit dem Exzellenzcluster CEPLAS weiter vorangetrieben. Was ist der aktuelle Stand? Und wie profitiert das IPK davon?

Mit der Gründung des virtuellen Zentrums für translationale Biodiversitätsforschung (TransCend) wird eine Zusammenarbeit des IPK mit Forschungseinrichtungen in Düsseldorf, Köln und Jülich, die im Rahmen der Bundesexzellenzinitiative gefördert werden, auf den Weg gebracht. Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurden gemeinsame Anknüpfungspunkte für Forschungsarbeiten, die Ausbildung junger Wissenschaftler, die Wissenschaftskommunikation und den Technologietransfer identifiziert. Nun gilt es, diesen Rahmen mit Leben zu füllen. Eine Reihe gemeinsamer Vorhaben und Forschungsprojekte wurden bereits gestartet.

Der Nutzen für alle Beteiligten ergibt sich konkret aus der Zusammenführung von komplementärem Fachwissen, der gemeinsamen Nutzung von Forschungsinfrastrukturen und der Zusammenführung der Graduiertenprogramme der Partnereinrichtungen. In den kommenden Jahren gilt es nun, diese Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten auszubauen.

Aber schauen wir kurz zurück: Was hat Sie nach dem Studium in Göttingen und München und zehn Jahren am „Institut für Resistenzgenetik“ in Grünbach aus Süddeutschland ans IPK geführt?

In Grünbach hatte ich die Möglichkeit, mit größtmöglicher Freiheit und Unterstützung durch den damaligen Institutsleiter, Gerhard Wenzel, meinen Forschungsinteressen auf dem Gebiet der Molekulargenetik nachzugehen. Als Postdoktorand bekam ich die Gelegenheit, im Rahmen eines vom Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderten Projekts, eine Arbeitsgruppe für die Genomanalyse an Gerste aufzubauen.

Das Institut in Grünbach war vergleichsweise klein und der Forschungsschwerpunkt lag auf dem Gebiet der Zell- und Gewebekultur sowie der Resistenzzüchtung bei Weizen. Daher war absehbar, dass die Weiterentwicklung der Arbeiten zur Genomforschung in diesem Umfeld auf längere Sicht an Grenzen stoßen würde. Im Jahr 1996 begegnete ich auf einem DFG Kolloquium in Bonn Ulrich Wobus. Er schilderte mir seine Pläne zum Ausbau der Forschungsarbeiten bei Gerste und fragte an, ob ich interessiert sei. Das Institut in Gatersleben genoss einen hervorragenden Ruf und die Leitung einer Arbeitsgruppe in der von Ingo Schubert geleiteten Abteilung Cytogenetik in Kombination mit der Koordination des Pflanzengenom-Ressourcen-Centrums (PGRC) bot eine interessante Perspektive zur Weiterentwicklung meiner Forschungsarbeiten. Ich bewarb mich und nahm am 01.04.1997 meine Arbeit am Institut auf.

Sie waren 2007 kaum im Amt als Geschäftsführender Direktor, da zerstörten Gentechnikgegner im Jahr 2008 Versuchsfelder mit gentechnisch verändertem Weizen und wurden am Ende einer langen juristischen Auseinandersetzung freigesprochen. In der 2022 ausgestrahlten MDR-Dokumentation über das IPK sprachen Sie von einer klaren Niederlage. War das Ihr bitterster Moment hier am IPK?

Eine emotionale Bewertung von Ereignissen erscheint mir an dieser Stelle fehl am Platz. Dem Institut entstand ein wissenschaftlicher und finanzieller Schaden. Leidtragende waren in erster Linie die an dem Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die am Ende des Projekts keine auswertbaren Ergebnisse erzielen konnten.

Leider spielen in der Debatte um die „Grüne Gentechnik“ auch heute noch ideologische Aspekte eine Rolle. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden oft bewusst ignoriert. Der Versuch, Wissenschaft und Forschung mit weltanschaulichen Gesichtspunkten zu verweben, ist aber nicht ganz neu. Denken Sie an Trofim Lyssenko oder die Vereinnahmung der Humangenetik durch die Eugenik zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Was mich heute besorgt, ist, wie Forschung auch in demokratischen Gesellschaften durch das Schüren von Ängsten und Vortragen von nicht bewiesenen Behauptungen regelrecht kriminalisiert werden kann. Demokratie heißt nicht, dass jeder das machen kann, was er will. Demokratie heißt aber auch nicht, dass jeder das verbieten kann, was nicht in sein Weltbild passt. 

Sie waren über Jahre Arbeitsgruppenleiter, Abteilungsleiter und Geschäftsführender Direktor. Wie schafft man es, diese drei Führungsrollen gleichzeitig auszufüllen?

Die Übernahme von Führungsaufgaben auf drei unterschiedlichen Leitungsebenen bedingt eine große Vielfalt an Themen und Fragestellungen, die weit über die Wissenschaft im engeren Sinne hinausreichen. Dabei gilt es, unterschiedliche Sichtweisen und Positionen, welche die eigene Arbeitsgruppe, die Abteilung oder das gesamte Institut belangen sorgfältig abzuwägen. Vor diesem Hintergrund habe ich sehr auf Gleichbehandlung geachtet. Im Hinblick auf die Arbeitsorganisation ordne ich den genannten Funktionen keine festen Zeitbudgets zu, sondern orientiere mich an den inhaltlichen Erfordernissen der einzelnen Aufgaben.

Im Laufe meiner Amtszeit nahm der zeitliche Aufwand für die Geschäftsführung sukzessive zu und die eigenen Forschungsarbeiten gerieten zunehmend ins Hintertreffen. Im Ergebnis dessen entschloss ich mich Ende 2020 - nach 23 Jahren - meine Arbeitsgruppe aufzulösen, um mich ausschließlich auf die Abteilungs- und Institutsleitung konzentrieren zu können.

Sie sind aber auch außerhalb des IPK gefordert: als Mitglied der Leopoldina, der Indian Academy of Agricultural Sciences und der „Indian National Sciences Academy”, als Professor an der Universität Halle-Wittenberg und als Mitglied in mehreren Beiräten, darunter am Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und am Julius-Kühn-Institut. Wie bewältigen Sie dieses Pensum?

Die Mitgliedschaften in den Akademien verstehe ich in erster Linie als eine Anerkennung meiner wissenschaftlichen Leistungen. Das Zeitbudget hierfür ist im Vergleich zu den anderen Aufgaben aber überschaubar. Die Arbeit in den Beiräten und Gremien sind meist mit Reisetätigkeit sowie Vor- und Nachbereitung verbunden. Ähnliches trifft auf die akademische Lehre zu. Für die Bewältigung dieser Aufgaben bleiben häufig nur die Wochenenden daheim oder die Abendstunden im Institut.

Sie bestechen immer durch Ihre ruhige und souveräne Art. Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis bei der Führung eines Institutes mit mehr als 500 Beschäftigten? Oder was braucht es noch dafür?

Als Autodidakt habe ich kein Erfolgsgeheimnis - aber ein Rezept. Es war mir immer wichtig, das eigene Handeln im Nachgang zu überprüfen, um Fehler nicht zu wiederholen bzw. Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen. Darüber hinaus versuche ich, eine mir gestellte Aufgabe stets so gut als möglich zu bewältigen. Sollte ich dennoch scheitern, habe ich zumindest alles gegeben. Ich denke, das bin ich allen Kolleginnen und Kollegen im Institut schuldig.

In unserem Institut sind viele Menschen mit unterschiedlichen Charakteren und diversen kulturellen Hintergründen tätig. Ich halte es für naiv, zu erwarten, dass jemand auf seinem Spezialgebiet überdurchschnittliches leistet und in allen anderen Lebensbereichen möglichst nicht vom Durchschnitt abweicht. Ich respektiere die Stärken, Schwächen und Eigenarten jedes Einzelnen, solange durch sein Handeln das Zusammenleben nicht beeinträchtigt wird. Das ist für mich der Kern des sprichwörtlichen Gaterslebener Geistes und die Grundlage des Miteinanders auf dem Campus.

Mittlerweile stehen Sie seit 16 Jahren an der Spitze des Institutes. Wie hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit verändert? Sind Sie inzwischen sogar mehr als Manager denn als Wissenschaftler gefordert?

In den ersten fünf Jahren standen wissenschaftsstrategische Fragen im Vordergrund. Dies beinhaltete die Nseachbesetzung von drei Abteilungsleitungen, mit der eine Anpassung der Wissenschaftlichen Schwerpunktsetzung ermöglicht wurde. Spätere Jahre waren neben weiteren gemeinsamen Berufungen mit den Universitäten Halle und Göttingen auch durch Wechsel in der Administrativen Leitung geprägt. Heute sind die Aufgaben des Geschäftsführenden Direktors in der Tat die eines Wissenschaftsmanagers.

Eine besondere Herausforderung stellte der Umgang mit der SARS-CoV2 Pandemie dar. Hier lag die Herausforderung darin, unterschiedliche Vorstellungen soweit wie möglich in Einklang zu bringen. Neben der Rolle Wissenschaftsmanager fühle ich mich auch noch als Moderator und Kommunikator.

Ihr Nachfolger als Geschäftsführender Direktor, Nicolaus von Wirén, kennt das Institut auch bestens als Mitglied des Direktoriums sowie als Leiter einer Abteilung und seiner Arbeitsgruppe. Was geben Sie ihm mit auf den Weg? Und wann fällt die Entscheidung über Ihre Nachfolge Leiter der Abteilung Genbank?

In meinem Büro hängt ein Holzschnitt, den mir Ulrich Wobus zu meinem Amtsantritt geschenkt hat. Das Bild zeigt einen Baum, am Grunde dessen Stamms ein Fuchs liegt und in dessen Geäst eine Eule sitzt. Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er bei der Wahrnehmung seines Amtes die Schlauheit des Fuchses mit der Weisheit der Eule verbinden möge. Was die Leitung der Abteilung Genbank betrifft, so bin ich sehr zuversichtlich, dass bis zu meinem Ausscheiden eine Lösung gefunden sein wird und ich auch diese Aufgabe nahtlos übergeben kann.

Die Wissenschaft steht heute viel mehr im Fokus der Öffentlichkeit als vor 20 oder 30 Jahren. Das haben zuletzt die hitzigen Debatten um Grüne Gentechnik, aber auch die Auseinandersetzungen während der Corona-Pandemie gezeigt. Wie sollte die Wissenschaft damit umgehen?

In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Medienlandschaft grundlegend geändert. Sie bietet heute neue Wege für die Wissenschaftskommunikation wie soziale Medien, Videos und auch multimediale Angebote. Dieser Entwicklung hat das IPK durch einen Ausbau der Geschäftsstelle Rechnung getragen. Was die Inhalte betrifft, zählt die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Dazu zählt es auch, eigene Ergebnisse richtig einzuordnen. Falsche Versprechungen wecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden können und zum Vertrauensverlust in die Wissenschaft führen. 

Die Sorge um den Forschungsstandort Deutschland wird auch im Zusammenhang mit der Grünen Gentechnik immer wieder geäußert. Wird das bisherige EU-Gentechnik-Recht nicht wesentlich geändert, wanderten viele exzellente Köpfe ins Ausland ab und ein Zukunftsbereich würde quasi ausgetrocknet. Haben Sie die Sorge auch?

Meine Sorge ist nicht nur der „brain drain“, d.h. das Abwandern gut ausgebildeter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch das Versiegen eines „brain gain“, d.h. die für uns essentielle Gewinnung von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland.

Gegenwärtig stehen neue Regelungen zur Arbeitszeiterfassung ins Haus, welche Wissenschaffende in das Korsett eines Acht-Stundentages zwingen sollen. In der kürzlich vorgestellten Novellierung des Wissenschaftszeitvertrags­gesetzes (WissZeitVG) soll eine Beschränkung der Qualifikationsphase für PostDocs auf nunmehr drei Jahre beschlossen werden. Im Ergebnis dieser Entwicklung dürfte es für Wissenschaftler aus dem Ausland wenig attraktiv sein, zur Qualifikation nach Deutschland zu kommen, wenn sie einen Acht-Stundentag einhalten müssen, nach ihrer Promotion nach WissZeitVG nur max. drei Jahre (statt bisher sechs Jahre) angestellt werden können und Büro-Arbeit an Sonn- und Feiertagen von Vorgesetzten genehmigen lassen müssen.

Pflanzenforschung wird oft noch als Nische gesehen. Die Herausforderungen durch den fortschreitenden Klimawandel, die wachsende Weltbevölkerung und den Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit sind aber gewaltig. Wird der Stellenwert der Pflanzenforschung größer werden?

Pflanzenforschung muss und wird an Bedeutung gewinnen! Landwirtschaft benötigt Nutzpflanzen, die mit dem Klimawandel zurechtkommen, mit weniger Dünger und Pflanzenschutzmitteln gedeihen und weiter ein hohes Ertragspotential aufweisen. Diese Anforderungen beziehen sich sowohl auf Getreide, Ölfrüchte, Rüben oder Leguminosen. Die Reduktion des Fleischkonsums schafft wieder freie Flächen. Diese sollten jedoch in erster Linie für den Anbau nachwachsender Rohstoffe und/oder den Naturschutz genutzt werden. Die Lösung der angesprochenen Probleme ist dringend auf Innovationen angewiesen, zu denen auch das IPK mit seinen Forschungsarbeiten beiträgt.

Für exzellente Forschung braucht es auch exzellente Köpfe. Mit welchen Argumenten würden Sie heute eine Nachwuchswissenschaftlerin oder einen Nachwuchswissenschaftler ans IPK locken? 

Das IPK ist ein international führendes Zentrum der Pflanzenforschung in dem junge Forschende aktiv zur Lösung von Zukunftsaufgaben beitragen können. 150 Wissenschaffende und Doktoranden aus 30 Ländern bieten ein multikulturelles und multidisziplinäres Forschungsumfeld. Das Institut verfügt über eine moderne, teilweise einzigartige Forschungsinfrastruktur, welche beste Voraussetzungen für Spitzenforschung auf allen Kerngebieten der Lebenswissenschaften bietet. Für sehr viele ehemalige Mitarbeitende war das Institut ein Sprungbrett für die weitere berufliche Entwicklung.

Sie fahren häufig aus Gernrode mit dem Rad zur Arbeit. Ist das die beste Form der Entspannung für Sie? Oder helfen Ihnen mehr die Gartenarbeit und ausgedehnte Wanderungen in den Bergen?

Ich halte es mit dem lateinischen Sprichwort in corpore sano mens sana est. In diesem Zusammenhang stellt körperliche Bewegung - sei es auf dem Fahrrad, im Garten oder auf einer Wanderung - einen guten Ausgleich zur täglichen Büroarbeit dar. Die Freiheit meiner Gedanken und die Freiheit, mich aus eigener Kraft wohin auch immer bewegen zu können, erachte ich als große Geschenke, welche ich solange wie möglich bewahren möchte. 

Wird aus dem Ruhestand wirklich ein Ruhestand? Was haben Sie ab Oktober 2023 vor?

Ich werde mich bis zum letzten Tag auf die Arbeit im Institut konzentrieren. Was die kommenden Jahre betrifft, bin ich noch in verschiedenen Wissenschaftlichen Beiräten tätig und werde die Arbeit des Schülerlabors im Vereinsvorstand weiter begleiten. Der Abschied vom Institut und aus der Wissenschaft wird sich somit in Raten vollziehen und ermöglicht es, lang gehegte Pläne im privaten Bereich endlich zu realisieren. Langeweile wird dabei nicht aufkommen.