Friedrich Miescher

Friedrich Miescher

Friedrich Miescher (1844–1895)

1869, vier Jahre nach Mendels Veröffentlichung der Vererbungsregeln, entdeckte Friedrich Miescher im Zellextrakt von Leukozyten eine bis dahin unbekannte, in Säure lösliche und im Zellkern lokalisierte Substanz, die er als „Nuklein“ bezeichnete. Obwohl er vermutete, dass das Nuklein eine wichtige Rolle in der Zelle spielen könnte, war ihm nicht bewusst, die Erbsubstanz, das Molekül der Vererbung gefunden und damit das Zeitalter der molekularen Vererbungslehre, der Genetik, eingeleitet zu haben. Am IPK Leibniz-Institut wird mit dem „Friedrich-Miescher-Haus“, dem Gebäude der einstigen „Chemie“, an den Entdecker des „Nukleins“ erinnert.

 

Am 13. August 1844 kommt Friedrich Miescher in Basel zur Welt. Sein Vater Friedrich Miescher-His und sein Onkel Wilhelm His sind angesehene Mediziner und Professoren an der Universität Basel. Mit 17 Jahren beginnt er in Basel und Göttingen Medizin zu studieren, will aber nicht als Arzt arbeiten, sondern die physiologisch-chemischen Grundlagen des Lebens ergründen. Zunächst geht er 1868 nach Tübingen ins Labor des Chemikers Adolph Strecker, um anschließend bei Felix Hoppe-Seyler (1825-1895), einem Mit-Begründer der späteren Biochemie, zu forschen. Miescher beginnt in der Küche von Schloss Hohentübingen seine Arbeit zur Fraktionierung von Zellbestandteilen. Als Versuchsmaterial nutzt er Leukozyten, die er aus eitrigen Verbänden vom Tübinger Hospital isoliert. Bei der Isolierung der Proteine entdeckt er eine Substanz, die in Säure ausfällt und sich in Lauge wieder löst und vor allem in Zellkernen vorhanden ist.  Bei der Elementaranalyse der unbekannten Substanz findet er neben Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff viel Phosphor, aber keinen Schwefel. Pepsin, ein Eiweiß verdauendes Enzym, das Miescher selbst aus Schweinemägen isoliert, zersetzt die Substanz nicht. Daraus folgert er, dass es sich nicht um ein Protein handelt und nennt sie Nuklein, da sie vorwiegend im Zellkern vorkommt.

Zellkerne (Nuclei) sind als Zellbestandteil bereits seit 1802 bekannt und gaben Ernst Haeckel um 1866 schon den Anlass zu Vermutungen, dass sie bei der Vererbung eine Rolle spielen könnten. Miescher und sein Chef Hoppe-Seyler sind sich bewusst, mit dieser Substanz eine bedeutende Entdeckung gemacht zu haben, können sie aber funktionell nicht einordnen. In dieser Zeit werden als Erbträger noch Proteine vermutet. Hoppe-Seyler will sicher gehen und beginnt eigene Versuche, die „Substanz“ aus den Zellkernen von roten Blutzellen zu isolieren. Das gelingt und mit Miescher veröffentlichen sie die Entdeckung des „Nukleins“ 1871 in der von Hoppe-Seyler begründeten Zeitschrift Medizinisch-chemische Untersuchengen, die später den Namen Zeitschrift für physiologischeChemie, seit 1996 Biological Chemistry trägt.

Miescher war inzwischen ein Jahr nach Leipzig gegangen, um dort über die Schmerzleitung in Nervenbahnen zu forschen, was ihn aber nicht befriedigte. 1870 kehrt er nach Basel zurück, nimmt seine „Nuklein“-Arbeiten wieder auf, habilitiert sich mit diesen Arbeiten und erhält den Lehrstuhl für Physiologie an der Universität Basel. Das „Nuklein“ isoliert er jetzt aus Sperma-Zellen von Lachsen, die fast nur Kerne enthalten. Lachse kamen damals im Rhein noch in Massen vor. In den Kernen entdeckt er ein neues basisches Protein, das Protamin. Er bestimmt sehr genau den Phosphorgehalt des „Nukleins“ und beauftragt Jules Piccard, einen Schweizer Chemiker, mit weiteren Analysen. Der entdeckt das Guanin als basischen Bestandteil. In der Veröffentlichung der Befunde 1874 hatte Miescher bereits andeuten wollen, dass das Nuklein eine Rolle bei der Vererbung spielen könnte, hat diese Idee aber verworfen, weil ihm eine so „einfache Substanz“ als Träger der Vielfalt des Lebendigen nicht überzeugen konnte.

Ab 1875 wendet sich Miescher der Erforschung der Ursachen für die entwicklungs-bedingten Veränderungen bei Lachsen zu, denen diese bei ihren Wanderungen zu den Laichgründen unterliegen. Als Professor für Physiologie beauftragt die Schweizer Regierung Miescher 1876, ein Gutachten zur Ernährung im Baseler Gefängnis zu erstellen. Das muss er so gut gemacht haben, dass auch andere Haftanstalten und Institutionen ihn um Hilfe baten. Miescher zog es aber zurück zur Wissenschaft. Er heiratet 1878 Maria Anna Rüsch (1856-1946), mit der er drei Kinder haben wird. 1884 wird er zum Mitglied der Leopoldina gewählt. 1885 gründet Miescherdas erste anatomisch-physiologische Institut in Basel und wird dessen Direktor. Erneut macht er bei Untersuchungen über die Veränderungen des Blutes bei Menschen in unterschiedlichen Höhenlagen eine wichtige Entdeckung: Er findet, dass nicht Sauerstoff, sondern der Kohlendioxidgehalt die Atemfrequenz reguliert.

Friedrich Miescher selbst leidet unter Erschöpfung und erkrankt an Tuberkulose. Ab 1890 sucht er Heilung im Sanatorium in Davos. Ihm fehlen die Kräfte, sein Lebenswerk über das Nuklein zusammenfassend zu veröffentlichen. Er verstirbt 1895 mit 51 Jahren. Sein Onkel Wilhelm His veröffentlicht die noch vorliegenden Manuskripte und vermutet, dass die Entdeckungen und Gedanken seines Neffen eine noch sehr „fruchtbare“ Zukunft vor sich haben. Die Geschichte der DNA beginnt. Bereits 1885 werden von Albrecht Kossel, einem Schüler von Hoppe-Seyler, Guanin und Adenin und später noch Thymin und Cytosin als basische Bestandteile der Nukleinsäuren identifiziert. Doch erst 1944 gelingt es Avery, MacLeod und McCarty zu beweisen, dass die DNA der molekulare Träger der Erbeigenschaften, der Gene, ist.