Nikolai Ivanowitsch Vavilov
Nikolai Ivanowitsch Vavilov (1887-1943)
Durch sein wissenschaftliches Wirken wird N.I. Vavilov mit Personen wie Humboldt oder Darwin gleichgesetzt und gilt wie diese als Pionier einer neuen Forschungsrichtung. Als Botaniker, Genetiker und Forschungsreisender gab er den Anstoß für die weltweite, strukturierte Sammlung und Nutzung von Kultur- und Wildformen in Genbanken sowie deren genetische Klassifizierung.Auf dieser Grundlage formulierte er das Gesetz der homologen Reihen und die Theorie der Gen- bzw. Mannigfaltigkeitszentren. Beide gelten als richtungsweisende Grundlage für die Züchtungsforschung. N.I. Vavilov starb 1943 als konsequenter Verteidiger der klassischen Genetik gegen pseudowissenschaftliche Angriffe als Opfer des Stalinismus im Gefängnis von Saratow. Seit 1976 trägt das Gebäude der Genbank am Gaterslebener Institut seinen Namen.
N.I. Vavilov wird am 25. November 1897 in Moskau als Sohn eines leitenden Angestellten einer Textilfabrik geboren. Von 1906-1910 studiert er am Landwirtschaftlichen Institut (heute Timirjasev-Akademie) in Moskau. 1916 organisiert er eine erste Sammelreise in den Iran. 1917 erhielt er eine Professur für Ackerbau und Genetik in Saratow, wo er 1920 auf einem Kongress seine Theorie der homologen Reihen vorstellt. Das „Gesetz der homologischen Reihe der erblichen Variabilität der Organismen“. Vavilov fand heraus, dass homologe Serien nicht nur auf Art- und Gattungsebene bei Pflanzen, sondern auch bei Säugetieren und Menschen existieren.
1921 wird Vavilov Professor für Botanik und Pflanzenzüchtung am Landwirtschaftlichen Institut in Petrograd, und von 1924 bis 1940 ist er Direktor des Allunionsinstituts für Pflanzenzüchtung in St. Petersburg (VIR). Vavilov baut ein Netz von Teststationen in verschiedenen klimatischen Regionen der Sowjetunion auf. Ziel ist, die Saatgutproduktion durch Testung und Erprobung grundlegend zu erneuern. Seine Arbeiten werden in dieser Zeit auf höchster staatlicher Ebene begrüßt und unterstützt. So kann er durch Sammelreisen in abgelegenste Gegenden der Erde über 150.000 Pflanzenformen und Belege in „seine“ Genbank einbringen.
Seine Theorie der homologen Reihen entwickelt Vavilov weiter. Er vermutet, dass in bestimmten geographischen Regionen der Erde diese in einem sachlichen Zusammenhang mit besonders hoher genetischer Mannigfaltigkeit auftreten. Für die Züchtung sind diese Regionen von richtungsweisender Bedeutung. Eine bahnbrechende Erkenntnis, welche Vavilov als „Theorie der Gen- bzw. Mannigfaltigkeitszentren“ 1927 auf dem Weltkongress für Genetik in Berlin vorstellte. Experimentelle Bestätigung fand seine Theorie u. a. am Erwin-Baur-Institut, dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung, durch Züchtungsarbeiten an der Süßlupine.
1928 ist er auf dem Höhepunkt seines Schaffens, leitet die neu gegründete Lenin-Akademie für Agrarwissenschaften als erster Präsident bis 1935, ist parallel von 1930 bis 1940 Direktor des Instituts für Genetik der Akademie der Wissenschaften in Moskau, verfasst über 300 wissenschaftliche Abhandlungen und mit seinen Mitarbeitern ein dreibändiges Werk „Theoretische Grundlagen der Pflanzenzüchtung“, entfaltet eine enormer Arbeitsenergie, gestützt auf ein phänomenales Gedächtnis und endlose Arbeitstage. Vavilov ist allseitig gebildet, spricht mehrere Sprachen, ist Mitglied ausländischer Akademien, seit 1926 auch der Leopoldina. 1932 wird er als Vizepräsident des 6. Weltkongresses der Genetiker in den USA, 1939 zum Ehrenpräsidenten des 7. Kongresses in Birmingham berufen, letzterer sollte unter seiner Präsidentschaft 1937 in Moskau stattfinden, was jedoch nicht mehr möglich war.
Durch die Unterstützung Stalins verfestigt sich in der Sowjetunion die pseudowissenschaftliche Denkrichtung des Agronomen Trofim Lyssenko und seines Ideologen, Isaak Israilewitsch Present. Eine „Lehre“ die im krassen Gegensatz zur klassischen Genetik steht und die Existenz von Genen leugnete. Vielmehr verspricht Lyssenko die Züchtung neuer Arten in kürzester Zeit durch umweltbedingte „Umerziehung“. Biologen und Genetiker, welche die „neue Genetik“ der „Mitschurinischen Biologie“ nicht anerkannten, wurden im Zuge der “großen stalinistischen Säuberung“ 1937-1939 zu menschewistischen Idealisten, Saboteuren und Volksfeinden erklärt. Viele wurden entlassen, verhaftet und getötet. Betroffen davon sind auch Vavilov und seine Mitarbeiter. Während einer Sammelreise in der Ukraine 1940 wird er überfallartig verhaftet, 1941 zum Tode verurteilt, und 1942 zu 20 Jahren Haft begnadigt. Er stirbt am 26. Januar 1943 im Gefängnis von Saratow.
Vavilov wird 1955 rehabilitiert. Lyssenkos „Lehren“ wuchern in der Sowjetunion und in anderen unter ihrer Macht stehenden Ländern noch bis in die 1960er Jahre. Im Gegensatz dazu verteidigt Hans Stubbe, Gründungsdirektor des heutigen IPK, mit Rückendeckung von damals hochrangigen Politikern in der DDR die klassische Genetik mit experimentellen Arbeiten im Gaterslebener Institut und als Professor an der Universität in Halle.
Mit der Gründung des heutigen IPK im Jahr 1943 wurden die Ideen Vavilovs aufgenommen und weiterentwickelt. Sein Werk findet mit der Namensverleihung „Vavilov-Haus“ anlässlich der Einweihung des Samenkühllagerhauses im Jahre 1976 für den Gebäudekomplex von Taxonomie und Genbank zusätzliche Anerkennung und Ehrung im Gaterslebener Institut.