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Sascha Linke
Prof. Dr. Klaus Pillen, Sprecher des Konsortiums
Neustart im Mitteldeutschen Revier

Ein Konsortium aus 50 Partnern, darunter auch das IPK, wird im Süden Sachsen-Anhalts eine Modellregion für eine moderne Bioökonomie schaffen. Anlässlich des Kick-offs äußert sich Klaus Pillen, Professor für Pflanzenzüchtung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Sprecher des Konsortiums, zu den Zielen und Herausforderungen.

Was ist die Ausgangslage vor dem Start?

Ausgangspunkt ist der bundesweite Kohleausstieg, der laut Gesetz bis 2038 umgesetzt sein muss. Doch wo Kohlekraftwerke verschwinden und Kohle nicht mehr abgebaut wird, fehlen Arbeitsplätze. Das ist die Situation im Süden Sachsen-Anhalts. Wir sehen allerdings enorme Potenziale und glauben, dass wir die Region stark aufwerten können, inklusive der Schaffung neuer, hochwertiger Arbeitsplätze.

Was stimmt Sie so optimistisch?

In der Region haben wir sehr gute Böden für den Anbau wichtiger Kulturpflanzen wie Weizen, Zuckerrübe und Raps, die den Landwirten schon heute gute Erträge bringen. Wir haben auch eine starke chemische Industrie, die wir einbinden wollen. Und nicht zuletzt zählen die Pflanzenforschung und die Pflanzenbioökonomie zu den Kernkompetenzen im Süden Sachsen-Anhalts. Das sind also alles hervorragende Voraussetzungen für unsere Arbeit.

Und was ist das Ziel?

Wir wollen eine Modellregion für eine digitalisierte, klimaneutrale und wettbewerbsfähige Bioökonomie entwickeln. Im Kern geht es um eine wirtschaftlich erfolgreiche Transformation im Mitteldeutschen Kohlerevier. Innovationsimpulse erhoffen wir uns von der Kombination von Digitalisierung und Bioökonomie. Unser Ziel ist es, bestehende Wertschöpfungsketten für Kulturpflanzen auszubauen und neue aufzubauen, um damit den Strukturwandel im Süden Sachsen-Anhalts mitzugestalten. Dazu wollen wir die wissenschaftliche Exzellenz in der Region nutzen und mit Partnern aus der Industrie zusammenbringen. Sachsen-Anhalt geht mit diesem Ansatz beispielgebend voran.

Wer gab den Anstoß für das Projekt?

Der Anstoß kam vor drei Jahren aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, konkret aus dem Referat für Bioökonomie und aus der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt. Wir haben dann sofort eine Planungsgruppe („Steering Committee“) ins Leben gerufen, in der neben der Martin-Luther-Universität in Halle auch die beiden Leibniz-Institute IPB und das IPK mit Nicolaus von Wirén vertreten waren. So kam das Projekt dann ins Rollen. 

Sie sprechen von neuen Wertschöpfungsketten. Wie sollen diese konkret aussehen?

Wir wollen die Ausgangsprodukte besser nutzen, das heißt die Inhaltsstoffe, aber auch die einzelnen Teile. Nehmen Sie den Weizen. Wir kennen Weizen bisher aus dem Brot und als Futtermittel. Aber was passiert mit dem Stroh? Das könnte auch in seine Einzelteile zerlegt und in einer Bioraffinerie genutzt werden. Wir sind daher froh, auch die UPM-Bioraffinerie in Leuna im Konsortium zu haben. Die UPM stellt z.B. Bioplastik aus Buchenholz her. Letztlich dreht es sich immer um eine bessere stofflich-chemische Verwertung der Pflanzen und die Förderung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.

Haben Sie dafür noch ein Beispiel?

Was bei der Herstellung von Pflanzenölen als Nebenprodukt anfällt, könnte die Impfstoffe der Zukunft verbessern: Lecithin. Das Projekt PhosFect entwickelt ein biotechnologisches Verfahren, um daraus besser verträgliche Lipide für Impfstoffe herzustellen.

Wo wollen Sie noch ansetzen?

Durch die Nutzung der Digitalisierung lassen sich in der Landwirtschaft in vielen Bereichen Verbesserungen erzielen, bei der Züchtung, beim Anbau und der Ernte, aber auch bei der Optimierung der Fruchtfolge und der Düngung. Mittels Digitalisierung können große Mengen an Daten wie DNA-Sequenzdaten, Sensordaten von Drohnen oder Boden- und Wetterdaten erhoben werden. Diese digitalen Daten werden anschließend zusammengeführt und per künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet. 

Das ist ein Feld, in dem aus unserem Konsortium IT-Dienstleister wie die GISA GmbH aus Halle (an der Saale) tätig sind. Mit neuen KI-Modellen lassen sich bessere Vorhersagen treffen, etwa zur Leistungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Pflanzen. 

Der Kohleausstieg soll das Klima schonen. Aber auch ohne die Kohle aus Revieren wie in Mitteldeutschland schreitet der Klimawandel voran. Welche Probleme sehen Sie?

Unberechenbare Naturphänomene und die steigende Zahl von Extremwetterereignissen wie Trockenheit oder Überflutungen können es deutlich schwerer machen, die Versorgung der Bevölkerung mit erschwinglichen Nahrungsprodukten in einer ausreichenden Menge zu sichern. Deshalb wollen wir nicht nur neue Wertschöpfungsketten schaffen, sondern auch Pflanzen und Anbausysteme widerstandsfähig und gleichzeitig nachhaltiger machen. Dabei dienen die neuen Wertschöpfungsketten nicht nur der Ernährung, sondern sollen verstärkt auch zur Grundlage für die Entwicklung neuer biobasierter Rohstoffe verwendet werden.

Wie ist das Konsortium zusammengesetzt? 

Die 50 Partnerinstitutionen aus der Wissenschaft und der Wirtschaft sind für 19 Verbundprojekte verantwortlich. Unser Konsortium umfasst auch drei Nachwuchsgruppen sowie ein Projekt zur „Begleitforschung“. 

Können Sie einige der Themen kurz erläutern?

Es geht uns im Konsortium um digitale Lösungen zur nachhaltigen Nutzung und Integration von Ackerrandstreifen in klimaresiliente Agrarökosysteme ebenso wie um Verfahren zur Herstellung neuartiger Zuckerersatzstoffe oder die Optimierung von Thymian, Oregano, Majoran und Melisse durch modernste Züchtungsmethoden für eine nachhaltige Wertschöpfung in Sachsen-Anhalt.

Wie ist das IPK in das Konsortium eingebunden?

Das IPK ist an fünf Projekten beteiligt, darunter DiPisum und MAGDI. Hauptziel von DiPisum ist es, Innovationen aus den Bereichen Digitalisierung, Genomik, Züchtung, Pflanzenbau und Lebensmittelindustrie für die Erbse nutzbar zu machen. Diese soll von einer fast vergessenen zu einer Zukunftskulturart weiterentwickelt werden. Wir wollen Sachsen-Anhalt letztlich zu einem Zentrum der Erbsen-Bioökonomie machen. Bei MAGDI geht es um die Verbindung der Kernspinresonanzspektroskopie mit künstlicher Intelligenz. Diese wollen wir als innovative Verfahren und digitale Werkzeuge für die Pflanzenzüchtung nutzbar machen und so die Entwicklung neuer Sorten verbessern. 

Wie sieht der Zeitplan aus?

Das Projekt gliedert sich in zwei Phasen. In der ersten Phase, bis Ende 2028, entwickeln die einzelnen Projekte ihre jeweiligen Ideen und Konzepte. Damit sollen dann bereits zehn Jahre vor dem Kohleausstieg konkrete Ergebnisse vorliegen. Und nach einer Zwischenevaluierung soll es in der zweiten Phase bis Ende 2032 in die Umsetzung im Kohlerevier gehen. 

Und was motiviert Sie, sich als Sprecher des Konsortiums so für das Projekt zu engagieren?

Ich komme aus der Landwirtschaft und habe immer versucht, eine anwendungsbezogene Forschung zu machen. Neue Produkte und Absatzmärkte für die Landwirtschaft zu schaffen, finde ich eine reizvolle Herausforderung. Und als Wissenschaftler ist die Züchtungsforschung mein Schwerpunkt. Themen wie Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit der Kulturpflanzen sind mir also bestens vertraut. Mindestens genauso wichtig ist mir, der Region, in der ich seit vielen Jahren als Professor für Pflanzenzüchtung tätig bin, etwas zurückzugeben. Unser DiP-Konsortium mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft ist dafür ein hervorragendes Vehikel.

Weitere Infos:https://www.dip-sachsen-anhalt.de/